Ein Wunsch, eine Utopie?

Ein Wunsch ganz sicher, eine Utopie aber auch. In einem freien Land sind wir dennoch von freier Rede meilenweit entfernt. Hier ist nicht die Rede davon, daß jeder tun und lassen können soll was er will, z.B. Schmutz und Dreck im Internet zu verbreiten. Auch kann es nicht angehen, daß Persönlichkeitsrechte anderer verletzt werden.
Für viele Obrigkeiten oder solche, die sich dafür halten, bringt es aber schon Probleme, daß plötzlich jeder seine Meinung nicht nur sagen, sondern sie auch vor einem Millionenpublikum ausbreiten kann. Ohne großen technischen Aufwand und – vor allem – ohne Zensur oder Rücksprachen. Das Recht der freien Meinungsaußerung „in Wort, Bild und Schrift" ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie und immer wieder auch ein Testfall für die Demokratie. Die Zensur durch den Geldbeutel findet, wenn die Zugangsanbieter mitspielen, nicht mehr statt. Utopie?

Selbstredend hört die Freiheit des einen dort auf, wo die Freiheit des anderen anfängt oder wo etwas als allgemein schutzwürdig verstanden wird. Das Recht auf Leben und das Recht auf körperliche und geistige Unversehrheit übertreffen das Recht auf freie Meinungsäußerung natürlich dort, wo sie denn zusammentreffen. Mit den Feinheiten kann und muß sich Karlsruhe beschäftigen und das wahrscheinlich auf Jahre hinaus, denn auch unsere gesellschaftlichen Wertvorstellungen geraten in Bewegung. Die Politik ist schon lange nicht mehr Trendsetter in Sachen Denkkultur.

Aber gilt das auch für eine vermeintlich makellose Erscheinung in der Öffentlichkeit oder für das Recht auf Profit. Öffentlichkeit zu scheuen, um das eigene Bild in der Öffentlichkeit kontrollieren zu können, das steht dem zu, der aus eigener Kraft lebt und sich selbst finanziert? Und dennoch muß auch der es zulassen durch die Öffentlichkeit kontrolliert zu werden. Gehört der Rhein nicht allen? Oder gehört er nur den Aktionären der Chemiegiganten? Gehört die Nordsee nicht allen und erst Recht den Fischen, oder gehört sie der Verklappungsindustrie? Von der Atomlobby, die bewußt eine verstrahlte Zukunft für unsere Urenkel in Kauf nimmt, soll hier gar nicht erst geredet werden. Diese Reihe liesse sich beliebig fortsetzen: Regenwald, Wal- und Robbenjagd, Klima ….
Wir leben in einer Zeit, in der alte Zöpfe abgeschnitten werden müssen. Bewährte alte Zöpfe sollten natürlich nicht gleich und ohne Alternative abgeschnitten werden, aber sie müssen es sich gefallen lassen, gewollt oder ungewollt, hinterfragt zu werden. Vom Umgang mit dieser Kritik, die nur vermeintlich negativ ist, hängt ab, ob sie sich zu den alten Zöpfen zählen müssen. Besitzstände werden mit Zähnen und Klauen verteidigt, da dem Menschen nur eine Lebensspanne von durchschnittlich 60 – 80 Jahren im Diesseits zukommt. Zwischen den Bewußtseins-Auszeiten am Anfang und am Ende dieser Spanne spielt sich das „Leben" ab.

Unser Mittelweg – und die Meinungsfreiheit ist ein Grundpfeiler dieses Mittelwegs „Soziale Marktwirtschaft" – hat sich bewährt, egal ob die soziale Komponente die wirtschaftliche trägt, oder umgekehrt. Wenn wir diesen Weg verlassen, müssen wir uns entscheiden zwischen Gemeinwohl oder dem Recht des Einzelnen, zwischen Individualität und Pluralität, zwischen Marx und Coca-Cola, zwischen …. es gibt zu viele Pole. Aber entscheiden müssen wir uns.

Diese Plädoyer wird ausufern. Der langen Rede kurzer Sinn: Freie Sprache im Internet – auch wenn es für manche ungewohnt, ungehörig, gefährlich oder gar bedrohlich erscheint.

(frisch aufgewärmt / eingetütet bereits 1998)